Universum Mensch
Der Mensch ist die Frage, was ist der Mensch?
Jean-Luc Nancy
Seit Tausenden von Jahren versucht der Mensch sich und das, was er eigentlich ist, zu ergründen.
Die Definition des Menschen des Philosophen Jean-Luc Nancy ist vielleicht deswegen so überzeugend und auf den Punkt, weil sie sich einer genauen Festlegung entzieht und den Menschen gerade dadurch in der Vielzahl seiner Facetten, Auseinandersetzungen und Widersprüchen erfasst.
Wir begegnen in unseren Programmen der Saison 2023/2024 der Frage nach dem Wesen des Menschseins auf musikalische Weise und haben uns dafür mit Themen wie dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, der Rolle von Geist und Körper oder den inneren, psychischen und emotionalen Empfindungen des Menschen befasst.
Jedes unserer drei Konzertprogramme stellt eine andere Facette des Menschseins in den Mittelpunkt: beginnend bei einem kammermusikalischen Barockprogramm wird der Mensch in seinem Dasein als interagierendes, soziales Wesen betrachtet.
Das zweite Konzert beschreibt anhand von barocker Musik die innersten, verborgenen und abgründigen Seiten der menschlichen Psyche.
Abschliessend setzen wir uns in einem dreiteiligen Programm mit Ratio, Physis und Emotio, drei grundlegenden Bestandteilen des menschlichen Wesens auseinander.
Musikalisch spannen wir einen weiten Bogen von früheren barocken Kompositionen von B. Marini, J.Chr. Bach oder M. Locke über bekannte Werke wie die Bachkantate „Weichet nur, betrübte Schatten“ oder F. Geminianis „La Folia“, die wir in einer kleineren, intimen Kammermusikbesetzung oder in grösserer, durch Sänger und Holzbläser erweiterter Besetzung spielen.
Im letzten Programm beziehen wir Werke des 21. Jahrhunderts in die Konzerte ein: Werke von Komponisten wie J. Cage, G. Kurtag, K. Saariaho oder K. Stockhausen werfen durch die zeitgenössische Tonsprache noch einmal ein anderes Licht auf die Frage, was Menschsein nun eigentlich bedeutet.
Über das Gemeinsame: Die Kunst, sich zu begegnen
28. 9. 2023, 19.30 Zürich, Hirschengraben34
29. 9. 2023, 19.30 Schaffhausen, Haberhaus
1.10. 2023, 11.00 Varazdin (Kroatien), Schloss Trakoscan (Auftritt im Rahmen des Festivals Varazdiner Barockabende)
1.10.2023, 19.30 Prelog (Kroatien), (Auftritt im Rahmen des Festivals Varazdiner
Barockabende)
Über das Verborgene: Eine Geschichte der Suche
12.1.2024, 19.30 Zürich, Lavatersaal
14.1.2024, 17.00 Schaffhausen, Zunftsaal Sorell Hotel Rüden
Über das Individuelle: Das Mass aller Dinge
Kapitel 1: Ratio
8.3.2024, 19.30 Stein am Rhein, Kulturhaus Obere Stube (in Zusammenarbeit mit der Jakob und Emma- Windler-Stiftung)
9.3.2024, 19.30 Zürich, Friedhofforum Sihlfeld(In Zusammenarbeit mit der Konzertreihe Prima Volta)
Kapitel 2: Physis
22.3.2024, 19.30 Schaffhausen, Promenadenpark/Pavillion im Park
23.3.2024, 19.30 Zürich, Friedhofforum Sihlfeld (in Zusammenarbeit mit der Konzertreihe Prima Volta)
Kapitel 3: Emotio
13.4.2024, 19.30 Zürich, Friedhofforum Sihlfeld (In Zusammenarbeit mit der Konzertreihe Prima Volta)
14.4.2024, 17.00 Neuhausen am Rheinfall, Rhyality Immersive Art Hall
mit:
Leonie Flaksman, Daria Spiridonova, Nora Eder, Andrés Murillo, Violine – Dominik Klauser, Viola – Marie-Louise Wundling, Malena Pflock, Cello – Dina Kehl, Violone – Lukas Stamm, Cembalo – Mei Kamikawa, Oboe – Adrià Sanchez Calonge, Fagott – Emilie Inniger, Kathrin Hottiger, Sopran – Desirée Mori, Alt – Zacharie Fogal, Tenor – Konstantin Paganetti, Bass
Konzeption / künstlerische Leitung: Marie-Louise Wundling, Lukas Stamm
Über das Gemeinsame: Die Kunst, sich zu begegnen
Wir begegnen uns. Auf der Strasse, zuhause, im Alltag, Beruf oder in der Freizeit. Geplant oder zufällig, überraschend oder vorhersehbar kreuzen sich Wege, überschneiden sich Momente. Miteinander in Kontakt tretend, kommen wir nahe, teilen, entscheiden, wenden uns ab, lassen oder kehren zurück. Funktionieren agierend, reagierend im Bekannten, gehen im Unbekannten verloren. Prallen aufeinander und aneinander ab, werden angezogen, abgestoßen, aus der Bahn geworfen oder von Zweifeln befreit, inspiriert und infrage gestellt.
Und in dem dichten, niemals stillstehenden Geflecht menschlicher Aufeinandertreffen stellt sich die Frage, wo das Ich aufhört und das Wir beginnt. Wo das Wir aufhört und das Ich beginnt.
In diesem kammermusikalischen Programm setzen wir uns auf einer musikalischen Ebene mit dem Thema Begegnungen auseinander und stellen uns die Frage, was uns verbindet oder unterscheidet, wo wir uns begegnen und wann wir vielleicht lieber unsere eigenen Wege gehen.
Carl Philipp Emanuel Bach (1714 – 1788) Sinfonia für Streicher und B.c. e-moll, Wq 177
Allegro assai – Andante moderato – Allegro
Jean-Philippe Rameau (1683 – 1764) Pièces de clavecin en concerts, 1. Suite
La Coulicam – La Livri. Rondeau Gracieux – Le Vézinet
Johann Friedrich Fasch (1688 – 1758) Sonate für 2 Violinen, Viola und B.c. d-moll, FWV N:d3
Largo – Allegro – Largo – Allegro
Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) Sonate für Violine und B.c. G-Dur, BWV 1021
Adagio – Vivace – Largo – Presto
Johann Sebastian Bach Sonate für 2 Violinen und B.c. G-Dur, BWV 1038
Largo – Vivace – Adagio – Presto
Georg Philipp Telemann (1681 – 1767) Sonata à 4 für zwei Violinen, Viola und B.c. a-moll, TWV 43:a5
Grave – Allegro-Adagio – Allegro – Largo e staccato – Allegro
Johann Sebastian Bach Contrapunctus I, aus: Kunst der Fuge, BWV 1080/1
Choral: Verleih uns Frieden gnädiglich, BWV 42/7 (3’)
In seiner Sinfonia in e-moll komponiert Carl Philipp Emanuel Bach unterschiedlichste Konstellationen der Instrumentalstimmen. Blockhaftes Unisono und Dialog zwischen den Instrumenten wechseln sich ab, verschiedene Solo-Instrumente treten hervor und fügen sich wieder ins Tutti ein.
Auch Telemann und Fasch erkunden in ihren Quartettsonaten verschiedene Wege, vier Stimmen zusammen zu führen, von einer klar definierten Rollenverteilung von Solist und Begleitung zu einer Gleichheit der Rollen der individuellen Stimmen.
Polyphonie im Sinne einer Fuge ist natürlich das Musterbeispiel der Unabhängigkeit und Gleichwertigkeit der Stimmen. Für dieses Programm haben wir einen Contrapunctus aus der Kunst der Fuge ausgewählt, vielleicht der Inbegriff des polyphonen Komponierens.
In einer Gruppe sein heisst zudem, unterschiedliche Perspektiven auf dieselbe Sache zu haben. Wir haben zwei Werke ausgesucht, die dies in metaphorischer Weise in Musik ausdrücken: In Rameaus Pieces de clavecin en concerts hat der Komponist seine eigenen Cembalo-Solostücke zu einem Trio umgearbeitet, in dem die Rolle des Cembalos im Verhältnis zu Geige und Cello eine ganz andere ist.
Eine andere faszinierende Art, sich dem Thema zu widmen, finden wir in Bachs Triosonate BWV 1038: Hier hat Bach die gesamte Basslinie seiner Violinsonate BWV 1021 genommen und darüber ein neues Werk komponiert: eine neue Sonate für zwei Oberstimmen und im galanten Stil. Zwei Stücke teilen ihr Fundament und klingen dennoch so unterschiedlich.
Am Ende des Konzerts steht ein Choral. Wir beziehen uns so auf die Tradition, ein Werk zu beenden, indem sich alle Beteiligten zu einer grossen, singenden und spielenden Gemeinschaft zusammenschliessen.
Wir begegnen uns in den gemeinsamen Harmonien, den Linien der Stimmführung und in der Suche nach dem musikalischen Ausdruck.
Über das Verborgene: Eine Geschichte der Suche
Sie begegnet uns das erste Mal schon im 2. Jahrhundert nach Christus bei dem lateinischen Dichter Apuleius: Psyche, ein junges Mädchen, die in ihrer Leichtigkeit und Schönheit alle anderen Frauen überstrahlt und durch Gutgläubigkeit und Unschuld die Herzen der Männer gewinnt. Doch die Göttin Venus, Symbol der Weiblichkeit und des Verlangens, zürnt ihr deswegen und auch die Liebe des geflügelten Amors bringt Neid, Misstrauen und Zwietracht in das Leben der Psyche, die am Ende nur mit göttlicher Hilfe aus dem mythologischen Handlungsgewirr herausfinden kann.
Zur Göttin und dadurch unsterblich geworden, kennen wir sie heute noch: Die Psyche, der Sitz der Seele oder, wie der Duden sagt „die Gesamtheit des menschlichen Fühlens, Empfindens und Denkens“, hat sich in den letzten Jahrtausenden ihrer menschlichen Gestalt entledigt und beschränkt sich nun darauf, aus dem Verborgenen die Geschicke der Menschen zu steuern. In Anbetracht ihrer Vergangenheit ist sie vorsichtig geworden und behält es sich weitestgehend vor, ihre Gestalt, ihren Wohnort oder ihr Ansinnen zu preiszugeben.
Nur ab und zu blitzt sie, unvorhersehbar und überraschend, aus dem Dunklen hervor und nimmt uns mit in ihr Labyrinth aus verworrenen Richtungen, schwarzer Löcher und gähnender Leerstellen, in dem Halt gebende Regeln und Vorstellungen zerbrechen und den Blick auf rauschhafte, zerstörerische, tabulose Abgründe freigeben.
Doch ihrer vereinnahmenden Kraft bewusst wird sie nie lange bleiben und sich bei Zeiten, bevor ernsthaft Schaden oder gar Veränderung verursacht worden sind, wieder an die Ortlosigkeit zurückziehen, aus der sie erschienen ist. Um uns mit Emotionen, Eindrücken und Fragen zurücklassen.
In dem musikalische Programm begegnet uns Psyche in unterschiedlichen Momenten ihres Lebens.
Zunächst als junges, unschuldiges und schmetterlinggleiches Mädchen, das durch das Capriccio von B. Marini „in modo di lira“ (Lyra = antike Harfe der griechischen Götter) repräsentiert wird. Ausschnitte aus Matthew Lockes Oper „Psyche“ bringen Unruhe in die Idylle, in der sich Psyche bis dahin zuhause fühlte, ihr inneres Gleichgewicht ins Wanken und führen uns in das dunkle Labyrinth Überall und Nirgendwo, in das sie sich zurückgezogen hat.
Die folgenden Stücke von Geminiani, Purcell, Marini und J.Chr. Bach stehen für eine Ort im menschlichen Inneren, der anstelle von reellen Ereignissen und rationalen Vorgängen vom emotionalen Erleben und Zuständen unterschiedlichster Art geprägt ist.
Die abschließende Kantate von J.S. Bach „Nach dir, Herr, verlanget mich“ wendet, in Anschluss an die Sonate von J. Rosenmüller den Blick wieder nach aussen und sucht Halt und Antworten jenseits des Irdischen.
Biagio Marini (1594 – 1663) Capriccio in modo di lira per violino solo, Op.8/14
Matthew Locke (1621 – 1677) Instrumentalsätze/Ausschnitte aus der Oper „Psyche“
Francesco Geminiani (1678 – 1762) Concerto grosso d-moll , H143 „La Folia“
Biagio Marini Sonata in ecco con tre violini, Op.8/44
Henry Purcell (1659 – 1695) „When I am laid in earth“, Arie der Dido aus „Dido und Aeneas“
Henry Purcell Fantasia Nr.9 a-moll a 4 Z. 740
Johann Christoph Bach (1642 – 1703) Ciacona „Mein Freund ist mein“ aus der Kantate „Meine Freundin, du bist schön“
Johann Rosenmüller (1619 – 1684) Sonata settima á 4
Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) Nach dir Herr, verlanget mich. Kantate BWV 150
Ein erweitertes Programmbooklet in einer mindmap-ähnlichen Form verdeutlicht die Geschichte der Psyche unseres Programms nochmals und wirft gleichzeitig durch ein Sammelsurium aus themenverbundenen Zitaten, Kunstwerken oder historischen Quellen einen eigenen und interpretatorischen Blick auf den Inhalt bzw. die Aussage der Kompositionen.
Über das Individuelle: Das Mass aller Dinge
„Nosce te ipsum“ – Erkenne dich selbst, so definiert der schwedische Biologe Carl von Linné 1735 in seiner Systema Naturae den Menschen. Keine ausführliche Beschreibung der körperlichen Merkmale wie bei anderen Arten, sondern die Aufforderung zur Selbstbetrachtung.
In einer Zeit wie heute, in der Frage nach dem Wesen des Menschen akut ist wie wohl noch nie, lohnt es sich auch mit musikalischen Mitteln den Menschen genauer zu betrachten. In drei Konzerten betrachten wir drei Aspekte des menschlichen Daseins: Ratio, Physis und Emotio.
Der Mensch als denkendes Wesen steht im Zentrum unseres ersten Programms, der Mensch als Individuum, der sich mit Hilfe der Vernunft mit sich selbst auseinandersetzen kann.
Der Mensch als körperliches Wesen steht im Fokus des zweiten Programms, das sich mit dem Verhältnis zwischen dem Menschen und der/seiner Natur beschäftigt.
Im dritten Programm schliesslich beschäftigen wir uns mit dem Menschen als empfindendes Wesen, seinen Gefühlswelten und ihrem Ausdruck.
In drei ungefähr einstündigen Kammermusikkonzerten treffen Werke vergangener Tage auf Musik der Gegenwart. So versuchen wir Zusammenhänge, Gemeinsamkeiten, aber auch Brüche und Entwicklungen zwischen der Musik vergangener Jahrhunderte und der Musik von heute herauszuarbeiten und vorzustellen.
Kapitel 1: Ratio. Ein Lecture Recital
lateinisch ratio = Vernunft; (Be)rechnung; Rechenschaft; vgl. Rede
Alvin Lucier (1931 – 2021) I am sitting in a room
Guillaume de Machaut (~1300-1377) Ma fin est mon commencement
Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) Ricercar a 3 aus Das musikalische Opfer, BWV 1079
Reflexion/Lecture „Was ist der Mensch?“
Lisa Streich *1985 MINERVA für Barockcello
Reflexion/Lecture „Was ist der Mensch?“
Anton Webern (1883 – 1945) Streichtrio op.20
Johann Sebastian Bach Ricercar a 6 aus Das musikalische Opfer
„I am sitting in a room“ ist wohl die Ausgangslage eines jeden Komponisten oder auch Philosophen beim Nachdenken. Während Lucier in seinem Stück klanglich gewissermassen einen Denkprozess, vom Individuum bis in die Unendlichkeit nachvollzieht, ist Machauts „Ma fin est mon commencement“ ebenso eine Auseinandersetzung mit dem Unendlichen, ein Stück, das aufgrund der verwendeten Regeln sowohl vorwärts als auch rückwärts gespielt werden kann, dessen Ende also gleichzeitig sein Anfang ist.
Ratio, also Vernunft, Verstand, bedeutet in diesem Programm nicht nur denken, sondern meint auch die Vernunft, die Regelbasiertheit, die Ordnung. Bachs Ricercari aus dem musikalischen Opfer sind Zeugnis seiner „musicalischen Wissenschaft“, es sind komplexe Architekturen, aus einem Thema gewonnen, nach einem ausgeklügelten Regelwerk verarbeitet. Auch in Weberns Streichtrio, seinem ersten zwölftönigen Werk, spielt die Ordnung der Dinge, der musikalischen Themen eine wichtige Rolle. In der dodekaphonen Musiksprache nimmt Webern seine intensive Beschäftigung mit der Musik Machauts und Bachs auf und findet aber ganz neue musikalische Ordnungsprinzipien.
In unser Konzert binden wir zwei Reflexionen von jungen Wissenschaftler:innen ein, die sich mit dem Wesen des Menschen auseinandersetzen.
Das ganze Programm soll in einem speziellen räumlichen Setting stattfinden: nachdem der Performer im Lucier-Stück auf der Bühne gesprochen hat, erklingt Machauts Rondeau um das Publikum herum. Cembalo und Redner befinden sich auch auf der Bühne, sodass der zweite Teil auf der Bühne erklingt.
Kapitel 2: Physis. Ein Bewegungskonzert in fünf Stationen
griechisch phýsis = Natur, natürliche Beschaffenheit
I
Jean-Féry Rebel (1666 – 1747) Le Chaos
II
Kaija Saariaho (1952 – 2023) Le Jardin Secret II
John Cage (1912 – 1992) Child of Tree
III
Karlheinz Stockhausen (1928 – 2007) Aus den sieben Tagen
Richtige Dauern
Verbindung
Setz die Segel zur Sonne
IV
Simon Steen-Andersen (*1976) Study #1 for string instrument
Giuseppe Tartini (1692 – 1770) Caprice
V
Jean-Féry Rebel Les Caractères de la Danse
Verschiedene Aspekte des Physischen stehen im Zentrum unseres zweiten Programms: Die Entstehung der Natur aus dem Chaos in Rebels avantgardistischer Orchestersuite „Les élémens“ von 1737, die Entstehung des Menschen in Saariahos Stück für Cembalo und Elektronik, Aspekte der Veränderung oder des Zufällligen in Cages Child of Tree oder intuitive Klänge in Stockhausens „Aus den sieben Tagen“.
Die Natur wird nicht nur klanglich beschrieben, in den Werken von Cage und Stockhausen brauchen wir auch Pflanzen als Instrumente. In einer Zeit, in der das Verhältnis zwischen Mensch und Natur aufgrund des Klimawandels neu definiert werden muss, finden sich in diesen Werken auch interessante Anknüpfungspunkte zur Nutzung der Natur und zur Inspiration aus ihr.
Ein weiterer Aspekt des Körperlichen ist das Virtuose, die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der dem Mensch gegebenen Natur. Stellvertretend dafür stehen das Werk von Steen-Andersen, das mit Hilfe von notierten Bewegungen komponiert ist, sowie die Caprice von Tartini, die stellvertretend für eine physische, virtuose Perspektive im historischen Repertoire steht.
Diesen Gedanken einer Choreografie von vorher festgelegten Bewegungen weiter verfolgend kommen wir schlussendlich zum Tanz, in Les Caractères de la Danse beschreibt Rebel unterschiedliche Tänze seiner Zeit.
Dieses Konzert möchten wir als Wandelkonzert an fünf Stationen in zwei Parks, im Alten Botanischen Garten in Zürich und im Promenadenpark in Schaffhausen anbieten.
Kapitel 3: Emotio. Ein Konzert in der Blackbox
französisch émotion, zu: émouvoir = bewegen, erregen < lateinisch emovere = herausbewegen, emporwühlen
Dieter Ammann (*1962) Piece for cello. Imagination against numbers
John Dowland (1563 – 1626) Come away, sweet Love
Volkslied S isch äbe ne Mönsch uf Ärde
Improvisation über Volkslied für Cembalo solo
György Kurtág (*1926) aus Jelek, játékok és üzenetek für Streichtrio
L’homme est une fleur
Jelek VI
György Kurtág Kafka-Fragment: 4b. Eine lange Geschichte
Luca Marenzio (1553 – 1599) Sul carro della mente auriga siedi. arr.. für Streichquartett
Volkslied Schönster Abestern
György Kurtág A Very Slow Waltz
Jelek II
Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) Weichet nur, betrübte Schatten. Hochzeitskantate BWV 202
Kurtágs Jeleks sind gewissermassen ein musikalisches Tagebuch des Komponisten. Die kurzen, fragmentarischen Stücke entstehen spontan und schnell und beschreiben verschiedene Emotionen. Diese Tagebucheintragungen bilden den roten Faden durch unser Programm. Wie in einem Drehbuch folgen wir Gefühlszuständen von Melancholie über Hoffnung bis hin zum Happy-End in Bachs Hochzeitskantate, die sich mit dem Wesen der Liebe auseinandersetzt.
Auf dem Weg finden wir: Schweizer Volkslieder, die uns auf eine sehr direkte Weise emotional ansprechen, Musik um 1600, die die geistige Wende zum Individualismus, der Beschäftigung mit den eigenen Emotionen zeigt, wir finden ein Kafka-Fragment Kurtágs, das mit lakonischer Ironie über Gefühle nachdenkt und eine ganz persönliche emotionale Auseinandersetzung in einer Improvisation.
In diese unterschiedlichen Gefühlswelten einführen wird Dieter Ammanns Stück für Cello solo, das sich mit dem Primat der Vorstellungskraft gegenüber den Zahlen beschäftigt.
Das ganze Konzert soll in einer Art Black-Box stattfinden, ausgehend vom Gedanken, dass dem Menschen seine Gefühlslagen auch nicht sichtbar erscheinen und oft ein unbekanntes Territorium darstellen. Das Publikum soll auf dem Boden auf Matratzen in einem soweit wie möglich abgedunkelten Raum liegen.